Auszüge aus:
Fritz Steegmüller, Ottersheim im Landkreis Germersheim.
Fritz Steegmüller: Ottersheim, 1968, S. 103-110
(http://www.steegmuller.de/heimatbuch.htm)
Ottersheimer Auswanderer Nach Rußland
Schon im ausgehenden 17. Jahrhundert verließen
viele Bewohner der Kurpfalz ihre Heimat, um sich in Amerika, Ungarn,
Jugoslawien oder Rumänien eine neue Existenz zu gründen.
Trotz der Auswanderungsverbote riß der Auswandererstrom auch im
18. Jahrhundert nicht ab. Allein
in den Jahren 1764-1767 folgten rund 30 000 Bauernfamilien dem Ruf der
russischen Kaiserin Katharina und siedelten sich an der Wolga an. Zu
Beginn des 19.
Jahrhunderts verließen weitere pfälzische Familien ihre
angestammte
Heimat und zogen nach Südrußland in die Gegend von Odessa.
Aus
dieser Zeit sind uns Namen von Ottersheimer Bewohnern bekannt, die
damals
die beschwerliche Reise ins Zarenreich antraten. Bis zur Donau
mußten
die Auswanderer den Weg zu Fuß zurücklegen. Ihre wenigen
Habseligkeiten
trugen sie entweder auf dem Rücken oder schoben sie auf einem
Karren
vor sich her. Manche fuhren mit dem Schiff zum Schwarzen Meer, andere
wählten den Landweg, zu dem sie zwei Sommer und einen Winter
benötigten. Mittellos erreichten die Widerstandsfähigen das
ersehnte Siedlungsgebiet, während die Schwächlichen oft von
tödlichen Krankheiten weggerafft wurden. Im Jahre 1809 wurde das
Gebiet des Flüßchens Beresan nordöstlich von Odessa
besiedelt. Es war der reichste aller Kolonistenbezirke mit den
Dörfern Landau, Speyer, Karlsruhe, Rohrbach, Worms, Rastatt und
München. Am Schwarzen Meer gab es darüber hinaus die
Ortschaften Kuhardt, Kandel, Mannheim und Heidelberg. Die
ausgewanderten Ottersheimer Familien ließen sich seinerzeit
großenteils in Franzfeld nieder und nahmen dort das fruchtbare
Land unter den Pflug. Im Verlaufe von über 100 Jahren entwickelte
sich die "Pfalz' am Schwarzen Meer zu einem blühenden Landstrich.
Die deutschen Siedler zeichneten sich durch Fleiß,
Tüchtigkeit und Sauberkeit aus. Ihre Dörfer hatten breite
Straßen, und die Häuser glichen den Gehöften in
Deutschland. Auch Kirchen und Schulen wurden errichtet und
fleißig besucht. Da es sich um rein deutsche Siedlungen handelte,
war die Umgangssprache deutsch. 1926 zählte man am Schwarzen Meer
rund 400.000 deutschstämmige Bewohner, während an der Wolga
etwa eine halbe Million Deutsche wohnten. Die bolschewistische
Oktoberrevolution im Jahre 1917 verschonte auch die deutschen
Siedlungsgebiete nicht. Die
bisher selbständigen Bauern wurden enteignet und ihr Land zu
Kolchosen
zusammengeschlossen. Zu einer radikalen Verschleppung der
deutschstämmigen
Bevölkerung kam es aber erst im Zweiten Weltkrieg. Was nicht zum
Kriegsdienst
eingezogen wurde, verfrachtete man nach Sibirien und setzte es dort in
Kolchosen
oder Industriebetrieben ein. So war es durchaus keine Seltenheit,
daß
man als Kriegsgefangener jenseits des Urals plötzlich waschechte
pfälzische Laute aus scheinbar russischen Kehlen vernehmen konnte
oder nachts mit dem Lied "Horch, was kommt von draußen rein' aus
dem Schlaf geweckt wurde. Als geschlossene Siedlungsgruppe sind die
Pfälzer heute in Rußland verschwunden. Obwohl sie in der
Öffentlichkeit nur russisch sprechen, haben sie ihre Pfälzer
Mundart aber noch vielfach bewahrt. Ob jedoch ihre Kinder und
Kindeskinder ihr deutsches Volkstum jetzt und in der Zukunft erhalten
können, ist zweifelhaft. Zum Lobe der Rußlanddeutschen
muß aber gesagt werden, daß sie immer noch zusammenhalten
und zusammenstehen, auch wenn man ihnen ihre Heimat an der Wolga und am
Schwarzen Meer genommen hat.